Jan Christian Pohl

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Autorin: Eva Linhart

 

Avanti und immer anders

 

Jan Christian Pohls Malerei hat die Eigenschaft, dass die Betrachtung eines seiner Gemälde unweigerlich den Sog auslöst, ein nächstes sehen zu wollen. Damit ist weniger ein Lob über das Freisetzen solcher Wirkung ausgesprochen als vielmehr die Qualität seines malerischen Ansatzes. Denn dass die Sehnsucht nach einem „Immer-Mehr“ entsteht, hat seine Gründe und diesen nachzugehen ist nun das Thema.

 

Die Arbeitsweise Jan Christian Pohls lässt sich zunächst entlang von zwei Parametern her charakterisieren. Zum einen in der Verwendung von wiederkehrenden gleichgroßen Formaten, die das Einzelgemälde zu einem potentiellen Bestandteil einer Serie werden lassen. Zum anderen prägt ein geradezu radikaler Wechsel von Malweisen, Techniken, Materialien oder Bild- und Farbkonzepten das Verhältnis der Gemälde untereinander.

 

Um die Konsequenzen einschätzen zu können, die sich aus der Verbindung der beiden Parameter ergeben, sei zunächst daran angeknüpft, dass jedes Gemälde Jan Christian Pohls eine eigene Bildsprache entwickelt.

 

In der Malereitradition der Moderne sind sogenannte „Stilwechsel“ schon immer ein Thema gewesen und sie haben stets die Rezeption eines Künstlers nicht nur beschäftigt, sondern irritiert. Dahinter verbirgt sich die psychologisierende Vorstellung von Malerei, dass sie der authentische Ausdruck einer Künstlerpersönlichkeit sei, was in seiner Konsequenz zu dem, was man dann „seinen Stil“ nennt, führe. Wenn ein Künstler jedoch nicht den „einen“ Stil anstrebt, sondern unterschiedliche Entwicklungen sucht, so wird es bis heute als eine Abweichung vom Ziel der „einen“ Stilfindung gewertet beziehungsweise als ein Kriterium für seine Unvollkommenheit. Das Ideal der Stilfindung ist prägend dafür, wie wir über einen Künstler und sein Werk sprechen, und die Rezeption kommt nicht selten in die Verlegenheit, wenn es denn der Künstler „geschafft“ hat, den Missstand der Stilbrüche doch noch irgendwie positiv in seine Beurteilung aufzunehmen.

Eine Variante der Problematik findet sich in der Einteilung nach „Perioden“, die bestimmte Etappen einer biografischen Entwicklung spiegeln sollen. Das prominenteste Beispiel ist wohl Picasso und seine sogenannte blaue oder rosa Periode, um nur zwei zu nennen. Ein anderer Maler, dessen Werk im Kontext von Stilbrüchen oder Diskontinuitäten bevorzugt zu finden ist, ist Gerhard Richter. Den Umstand, verschiedene Bildkonzeptionen im Sinne einer werkbildenden Strategie einzusetzen, begreift er jedoch vor allem als eine Reflexion und eine kritische Introspektion dessen, was Malerei sein kann. Was bei Gerhard Richter zum Tragen kommt, ist der Prozess, über verschiedene „Stile“ seine Möglichkeiten zu erweitern. Eine Auseinandersetzung mit der Problematik, warum „Stilfindung“ für Maler nicht das Ziel ihrer Arbeit sein muss, können wir bereits bei dem Belgier James Ensor finden. In einem Brief formuliert er:

Leider, mein lieber Freund, kann ich die meisten Maler weder verstehen noch lieben. Sie legen sich ein für allemal auf eine Manier fest, sie sind für immer festgefahren, in ärmlichen, gedankenlosen Übungen erstarrt, jedem Gefühl, jeder Regung entzogen, gehen sie im Eintakt ihren eingekesselten, immer selben Weg. Ah, wenn sie nur auf ihre Vision hören könnten, ah, wenn sie nur ihrem Gefühl freien Lauf lassen und lieben könnten, dann würde sich ihr ach so beschränktes Verfahren öffnen und erweitern. Man muss sein eigenes Verfahren erfinden. Jedes neue Werk soll sich eines neuen Verfahrens bedienen. (Lettres de James Ensor à A. d. Ridder (Brief v. 30. 9. 1928), 1960, S. 63 (Übersetzung aus dem Französischen in: Ausstellungskatalog Zürich/Antwerpen, Kunsthaus / Koninklijk Museum voor Schone Kunsten: James Ensor, 1983, S.132).)

 

Der Diskurs „Stilbildung“ versus „offene Formfindungen“, wie er bei James Ensor anklingt, zeigt zugleich das Vorhandensein zweier Konzeptionen: Die Stilbildung, die aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive an das künstlerische Werk herangeht und die Identität (Identifikation) seiner Malerei quasi über eine eigene „Handschrift“ sucht. Demgegenüber steht der produktionsästhetische Ansatz, der sich in dem Anspruch, dass jedes neue Werk das vorangegangene übersteigen muss, realisiert. Und dieser Ansatz wiederum begreift sich als ein offenes Konzept einer malereischöpferischen Leistung, die unendlich viele neue Möglichkeiten entdeckt und sich so das schöpferische Subjekt in seinem Potential, eine Künstlerin oder ein Künstler zu sein, realisiert.

 

Ganz offensichtlich ist für Jan Christian Pohls Ansatz das letztere verbindlich. Dabei ist spezifisch, wie die jeweils anderen neuen Gemälde und ihr malerischer Prozess entstehen, nämlich über das Zulassen der Eigenwirkung verschiedener Materialen und ihrer eigenmächtigen Wirkungen. Gemeint ist diejenige künstlerische Methode des „kalkulierten Zufalls“, die an der Gestaltung der Gemälde mitwirkt und die der Künstler nicht nur beiläufig zulässt, sondern geradezu provoziert. Er fordert die unendlich vielen Möglichkeiten heraus, die beim Auftragen und Kombinieren des Farbstoffs als Materie und Farbwert entstehen können. Er integriert zudem Fundstücke, die in seinem Atelier oder wo auch immer und wie auch immer auftauchen: Sei es die Vielzahl der verwendeten Materialien wie Öl, Lack, Ölkreide oder Sprühlack auf Baumwolle, Acryl, Lackstift, Plastik, Seide, Tinte, Magnete auf Seide auf Leinen, Silikon, Faden auf Leinen, Fusseln, Fäden und Folien bis hin zu seinem von Malereispuren übersäten Atelierfußboden, der zu einem Bildmotiv avancieren kann.

 

So sehr die Lust an fortwährend Anderem zu jeweils neuen Malereiformationen führen mag, so ist sie zugleich an eine weitere mit dem „kalkulierten Zufall“ einhergehende Eigenschaft geknüpft. Diese ist zwar in dem bisher Genannten angedeutet, aber nicht explizit bewertet und in ihrer Relevanz bedacht. Es ist das Moment des Dialogischen, das in dem malerischen Werk des Künstlers in mehrfacher Weise wirksam ist.

Zum einen tritt das dialogische Prinzip bei der Zusammenarbeit zwischen Künstler und dem Material auf. Denn so wie Jan Christian Pohl das Material in seiner Eigenwirkung als Klecks, Strich, Abdruck, Tropfen oder als Schriftbild aus Fäden einsetzt, nimmt er diesen gegenüber nicht die Haltung ein, dass er es in eine vorherbestimmte Form zu zwingen hat. Vielmehr räumt er den verwendeten Mitteln geradezu die Autorität eines Co-Künstlers ein, welche – ebenso wie er – an dem entstehenden Bildwerk mitarbeiten. Von deren Eigenwilligkeit, also im Resultat etwa davon, wie der Tropfen fließt oder welches Farbspiel beim Mischen verschiedener Farben entsteht, lässt er sich dann überraschen.

Darüber hinaus setzt sich das dialogische Moment bis in die gegenseitige Wechselwirkung der Arbeiten untereinander fort. Je nachdem, welche Gemälde der Künstler kombiniert, entstehen jeweils andere Beziehungen zwischen den Arbeiten und beeinflussen die Wirkung des Einzelbildes. Die damit einhergehende Konsequenz ist, dass die Bildwerke endlos kombinierbar sind. Die Einzelarbeiten gewinnen so den Status von Modulen, die in einem offenen System stets neue überraschende Partnerschaften eingehen können.

Die Praxis des „Mixens“ von Bildern, an die wir heute angesichts digitaler Präsenz gewöhnt sind, greift hier jedoch als Referenz nur bedingt, um den kombinatorischen Ansatz Jan Christian Pohls zu verstehen. Und hier kommt der andere Parameter, das Verwenden gleichgroßer Formate, ins Spiel.

Indem jedes Einzelbild von einer anderen Bildlichkeit bestimmt wird, leistet die Benutzung von gleichen Formaten – oder genauer gesagt von Gruppen aus kleinen, kleineren oder großen Formaten – eine potentielle Zusammengehörigkeit der Bilder. Die Verwendung gleichgroßer Formate bedingt folglich die Möglichkeit von Serienbildungen und stiftet in ihrer Konsequenz die Identität des Werks als eines von Jan Christian Pohl. Die Formatgleichheit im Sinne eines Wiedererkennungsmerkmals ersetzt so das Identifikationsmittel „Stil“.

Solch ein konzeptioneller Griff  auf eine Identitätsbildung des Werks über die Formatgleichheit wäre jedoch nur eine bloß formale Maßnahme, wenn sie nicht eine weitere und wesentlichere Dimension nach sich ziehen würde: Nämlich diejenige, die zu den Leidenschaften und Bilderlebnissen führt, die Jan Christian Pohl dazu bewogen haben, Künstler zu werden. Der Verweis lotst uns dabei jedoch weder zu einer Freilichtmalerei noch zur der Internationalen Abstraktion. Vielmehr ist stattdessen die Dynamik von unterschiedlichen als immer anderen Bildsprachen unter der Bedingung wiederkehrender Bildgrößen hier am Werk, die der Künstler nicht selten zu Reihen aus Zweiergruppen anordnet. Das verdeutlicht in seiner Konsequenz, dass sich die erste Faszination für Malerei über das unermüdliche Blättern von Bildbüchern in der Kindheit und später Comics und Mangas entwickelt hat. Auf diese Zeit muss seine Erfahrung zurückgehen, dass das Blättern von Bilderbüchern einen Sog auszulösen vermag, der stets nach mehr verlangt. Es muss ihm in seinen frühen Jahre einen enormen Spaß bereitet haben, die vielen Bilderbücher, die ihm seine Eltern – wegen der hohen künstlerischen Qualität  bevorzugt aus den früheren sozialistischen Ländern – geschenkt haben, immer neue Seiten aufzuschlagen und in deren Bilderwelten einzutauchen. Die Lust daran muss derart prägend gewesen sein, dass sie Jan Christian Pohl zum Prinzip seiner künstlerische Praxis entwickelt hat, und die auch erklärt, warum seine Anordnung der Gemälde in Zweiergruppen weniger in der christlichen Tradition des Diptychons begründet liegt als vielmehr in dem Erlebnis der Dynamik aufgeschlagener Doppelseiten.

 

Seine Gemälde in Zweierformationen auszustellen, diese Entwicklung ist im Rahmen des Werks Jan Christian Pohls neueren Datums und sie geht interessanterweise mit einer anderen einher. Sie lässt sich als eine allmähliche Loslösung von figurativ-erzählerischen Bildsprachen zugunsten der Eigenwirkung des malerischen Materials beschreiben. Beide Entwicklungen belegen den Ausgangspunkt des Bilderbuchs auf ihre Art.

Die früheren Arbeiten zeigen deutlich eine Orientierung an Bilderbüchern, Comics oder Mangas in der Weise, dass sich hier verstärkt die Vorliebe an einem überzeichneten Illusionismus auslebt: Etwa als eine pralle hochglänzende Träne eines Mädchenauges in Manga-Manier oder als die im Wind flatternde, durch Weißhöhung glänzende schwarze Haarsträhnen eines Drachenkämpfers oder als Sprechblasen, die konstruktiv in die Bildhandlung einschneiden und der Erzählspannung eine typografische Wendung verleihen. Zudem ist hier feststellbar, dass sich die früheren Arbeiten noch in der Eigenschaft von Einzelwerken denken, in denen verschiedene Bildsprachen nebeneinander gestellt und mit Mitteln von Stilbrüchen quasi collagiert sind. Diese Tendenzen hat der Künstler in Abwendung seiner früheren Arbeitsweise nun auf die Gleichzeitigkeit mehrerer Arbeiten ausgedehnt und so begonnen, das Moment der möglichen Beziehungen der Bildwerke untereinander im Sinne einer malerischen Wirkungsmethode einzusetzen. Der Prozess des Blätterns als ein dynamisches Prinzip gewinnt so die Oberhand und bestimmt die Perspektive der Anordnung und den Zusammenhalt der Arbeiten. Damit einher geht der allmähliche Verzicht auf den figurativen Illusionismus. Stattdessen hat er angefangen, nicht einen Tropfen darzustellen und seine lichtreflektierende Transparenz zu betonen, sondern den Tropfen als Resultat eines die Leinwand herabfließenden Farbstoffs sich bilden zu lassen; oder statt das Muster einer Blümchentapete auf die Zartheit der Blüten auszudeuten, lässt er nun die geprägte Tapete in der Gestalt eines Abdrucks auf einer weißgrundierten Leinwand stehen und so weiter. Es scheint demnach dazu gekommen zu sein, dass die in der Kindheit erlebte erste Intensität beim Blättern als eine Abfolge aus Wirkungen der eingesetzten bildnerischen Mittel der Seiten und die aus ihnen resultierende Anregung zu eigener Bildproduktion noch ausdrücklicher die Konzeption seiner Malerei und ihre Bildlichkeit zu prägen begonnen hat.

 

Fazit: Jan Christian Pohls eigenwilliger Sog, unsere Blicke seiner bildnerischen Dynamik folgen zu lassen, damit wir von Bild zu Bild immer neue Farb- und Formkonstellationen entdecken können, ist das, was intensive Malerei als einen infiniten Bildwahrnehmungsprozess auszeichnet. Dessen wesentliche Eigenschaft  ist die sinnliche Erfahrbarkeit von Kunstwerken unter der Bedingung von Raum und Zeit. Es ist die gleiche Bedingung realer Präsenz eines körperlichen und materieabhängigen Ereignisverlaufs, wie ihn auch das Blättern von Bilderbüchern von Seite zu Seite braucht. Die Lust daran behauptet der Künstler als den wesentlichen Beweggrund seiner Malerei.

 

 

Eva Linhart ist Kuratorin für Buchkunst und Grafik am Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. Sie kuratierte zahlreiche Ausstellung und promovierte über James Ensor unter dem Titel „Künstler und Passion“.